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Über Grenze und Schwäche der politischen Satire

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Kommentar zur Wahl Trumps, am Morgen nach der Wahl – zugleich ein Beitrag über die Grenze der politischen Satire:
„[...] Bisher konnte man sich zumindest noch in den Galgenhumor flüchten. Nicht umsonst heißt es, Humor mache das Leben erträglicher. Das stimmt insofern, als dass Humor ein Weg ist, das persönliche und ganz generelle Weltgeschehen zu betrachten. Über etwas zu lachen - und sei es auch nur über sich selbst - schafft eine wohltuende Distanz. Was nicht mehr ganz so nah an mir dran ist, tut mir nicht so weh. Vielleicht wurde Humor nie so inflationär als Bewältigungsstrategie eingesetzt wie zurzeit. Wobei das schon die erste problematische Verallgemeinerung ist, denn Humor ist keine demokratische Bewältigungsstrategie, sondern eine ziemlich elitäre.
Wie heißt es gerne? Ironie ist der Humor der intelligenten Menschen. Besonders häufig macht sich der bildungsbürgerlich aufgeklärte Mensch über Dinge lustig, die er nicht durchdringt, denen er sich hilflos ausgesetzt fühlt, die er eben nicht klar kriegt. Das widerspricht fundamental seinem Selbstverständnis.
Humor ist da der Konsistenzkitt, er bringt den selbstauferlegten Anspruch des aufgeklärten Bürgers mit seinem gefühlten (oder tatsächlichen) Handlungsspielraum in Einklang. Es ist vergleichsweise leicht, nach einer Ausgabe Die Anstaltzum Thema Flüchtlingskrise mit einem wohligen Gefühl ins Bett zu gehen. Wurde der komplexe Gegenstand gut recherchiert? Scharf analysiert? Bekömmlich präsentiert? Check, check, check. Noch einmal über das Gesehene schlafen, am nächsten Morgen mit den Kollegen die besten Szenen und treffendsten Pointen nachbesprochen, politische Schuldigkeit getan, nächstes Thema. [...]
Nicht falsch verstehen. Selbstverständlich ist es richtig und wichtig, dass es politische Satire gibt und dass sie geschützt ist. Aber Satire wird dann problematisch, wenn sie bloßes Mittel der Selbstvergewisserung ist. Humoristische Überhöhung ist gefährlich, wenn sie Dinge tatsächlich vereinfacht. Am Ende jedes Anti-Trump-Videos von Jon Stewart, John Oliver oder Stephen Colbert stand die beruhigende Botschaft: Ich stehe auf der richtigen Seite, auf der Seite der Wahrheit. An diesem Morgen muss ich erkennen, dass es zwischen Wahrheit und Nicht-Wahrhaben-Wollen ein schmaler und gefährlicher Grat ist.
Ich bin abgestürzt auf den Boden der Tatsachen. Und auf diesem Boden leben Menschen, deren Beweggründe für ihr Trump-Votum ich zumindest hätte anerkennen müssen, anstatt sie pauschal als nicht gerechtfertigt abzuwehren. Was beschwert sich der weiße Farmer aus dem mittleren Westen, dem geht es doch gut im Vergleich zu vielen Latinos oder Schwarzen in den USA! Das mag inhaltlich stimmen, aber die moralische Arroganz hinter diesem Denken ist fatal. Viele Menschen, die nun Trump gewählt haben, wollten weder Trump noch Clinton - sie wollten eine Veränderung, mit allen Mitteln. Wohin dieser unbedingte und gerade nicht vorausschauende Protest- und Veränderungswille führen kann, das zeigt das Brexit-Votum, das zeigen die jüngsten Landtagswahlen, bei denen die AfD für schockstarre Gesichter in den TV-Studios und Wohnzimmern sorgte.
An diesem Mittwochmorgen im November heißt das politische Schreckgespenst Donald Trump, und es ist umso angsteinflößender, weil es real geworden ist. Zum Leben erweckt von Menschen, die politische Beobachter mit Adjektiven beschrieben haben, die jeden Psychologen alarmieren würden: abgehängt, desillusioniert, wütend. Doch ich habe diese Warnzeichen nicht ernstgenommen, habe ihnen das Zuhören verweigert. Ich habe mich bis zuletzt darauf verlassen, dass es reicht, Donald Trump immer wieder in seiner ganzen lächerlichen Hybris vorzuführen. Vorführen zu lassen, am liebsten von klugen Satirikern, die Trumps Lügen Fakten entgegengesetzt und den ganzen Wahlkampfwahnsinn humoristisch überhöht haben.
Doch Trumps Wähler haben Humor vielleicht nie gelernt, ganz sicher aber ist diese Wahl für sie - und uns - kein Spaß. Der Humor ist tot an diesem Morgen. Es braucht eine neue Bewältigungsstrategie.
(Johanna Bruckner: Oh mein Gott. Es ist passiert, SZ-online am 9.11.2016, 12:05 =

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