In einer Projektwoche unter dem Stichwort „Gewalt“ stand 1994 am FMG das Thema „Gewalt gegen sich selbst: Selbstmord“ neben 24 weiteren Themen zur Auswahl. Zu diesem Thema mussten wegen des großen Interesses vier Arbeitsgruppen gebildet werden (genau wie zum Thema „Sport und Gewalt“); eine davon habe ich geleitet.
Zu Beginn sollten die Schüler über einen Fragebogen ihr Interesse am Thema klären. Dabei kam heraus,
- dass sie sich i. W. für die Problematik von Jugendlichen interessierten,
- dass sie das Thema medizinisch-psychologisch statt literarisch behandeln wollten,
- dass sie wissen wollten, ob es ein Recht auf Selbstmord gibt,
- dass sie sich schon einmal mit dem Thema auseinandergesetzt hatten,
- dass sie Leute kannten, die den Gedanken an Suizid erwogen hatten,
- dass sie kein Material zum Thema besaßen,
- dass sie Beratungsstellen für Suizidgefährdete kennenlernen wollten;
- das Interesse für Gründe des Suizids und für den Umgang mit Suizidgefährdeten war halbe-halbe geteilt.
Von dem von mir vorbereiteten Material wurden eingesetzt:
Wedler, Hans-L.: Gerettet? Begegnungen mit Menschen nach Selbstmordversuchen, 1979, S. 61-65 (Bericht der Lisa E.)
Jacobs, Jerry: Selbstmord bei Jugendlichen. Erklärung, Verhinderung, Hilfe, 1974, S. 51-53 (Fallstudie einer jugendlichen Suizidentin)
Stengel, Erwin: Selbstmord und Selbstmordversuch, 1969, S. 65-67 (Auswertung des fiktiven Berichts eines Außerirdischen, der Selbstmorde von Menschen beobachtet)
Popitz, Heinrich: Drohen und Bedrohtsein, in: Phänomene der Macht, 2. Aufl. 1992, S. 80-85 (zur Drohung mit dem Selbstmord)
Stengel, Erwin: a.a.O., S. 118-122 (Zweifel an den Erklärungen und Gründen des Selbstmords, Plädoyer für die lebenserhaltenden Kräfte)
Außer mir war noch eine Schülermutter in der Gruppenleitung aktiv, die als Sozialpsychologin fachlich kompetent war.
Das Fazit des von Stengel einführten Außerirdischen lautet: „Es sieht so aus, als ob ihr eigentümliches Verhalten nicht aus einer einzigen Tendenz allein hergeleitet werden kann, sondern wahrscheinlich auf eine Kombination von mindestens zwei Tendenzen zurückzuführen ist, nämlich auf den Drang zur Selbstverletzung, möglicherweise zur Selbstvernichtung und auf das Verlangen, andere Menschen zur Äußerung von Sorge und Liebe und zu einem entsprechend fürsorglichen Handeln zu bewegen.“
Mir war das Thema durch Jean Amérys eindrucksvolles Buch „Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod“ (1976) und durch einen Suizidversuch in der Verwandtschaft bekannt. Der Bruder einer Schülerin der Arbeitsgruppe hat sich später das Leben genommen – ein künstlerisch begabter Schüler (B. K.), von dem ich zwei Bilder besitze. Ihm und Jean Améry sei dieser Rückblick gewidmet.